Effizienzmarkthypothese: Definition, Beispiele und Kritikpunkte

Ein Wissensbeitrag zum Thema Aktien von Jens Herold Esteves

Wie und wann verarbeiten Finanzmärkte Informationen effizient? Wir schauen auf die Effizienzmarkthypothese mit Beispielen aus der Praxis und welche Auswirkungen ein falscher Umgang mit ihr auf Dein Portfolio haben kann.

Zuletzt aktualisiert am: 5.7.2024
4 min
Märkte können ein großartiger Ort zur effizienten Informationsverarbeitung sein
Märkte können ein großartiger Ort zur effizienten Informationsverarbeitung sein[Photo by Razvan Chisu on Unsplash]

Definition

Die Effizienzmarkthypothese (Efficient Market Hypothesis, EMH) geht davon aus, dass die Finanzmärkte alle verfügbaren Informationen vollständig widerspiegeln, sodass es unmöglich ist, durch Stock Picking oder Market Timing dauerhaft höhere Renditen als der Gesamtmarkt zu erzielen.

Dies beruht auf der seit Beginn des 20. Jahrhunderts gemachten und erforschten Beobachtung, dass Aktienmärkte häufig einem sogenannten Random Walk (symmetrische Irrfahrt) folgen.

Eine unmittelbare Konsequenz ist, dass wenn Märkte gemäß der EMH alle verfügbaren Informationen berücksichtigen bzw. gleichermaßen nur auf neue Informationen reagieren, sich tägliche Aktienmarktbewegungen nicht systematisch vorhersagen lassen.

Praxisbeispiele für die Relevanz der EMH

1. Schnelle Kursanpassung bei Gewinnankündigungen:

Wenn ein börsennotiertes Unternehmen seine Quartalsgewinne bekannt gibt, passt sich der Aktienkurs oft fast sofort an die neuen Informationen an. Wenn die Gewinne eines Unternehmens beispielsweise die Markterwartungen übertreffen, steigt der Aktienkurs in der Regel sprunghaft an, da die Anleger auf die positiven Nachrichten reagieren. Bleiben die Gewinne dagegen hinter den Erwartungen zurück, fällt der Kurs schnell. Diese schnelle Anpassung zeigt, wie effizient der Markt neue Informationen aufnimmt.

2. Reaktion des Aktienmarktes auf Zinssatzänderungen:

Wenn eine Zentralbank, wie z. B. die EZB, eine Zinsänderung ankündigt, reagieren die Finanzmärkte in der Regel schnell. Wenn die EZB die Zinsen stärker erhöht als vom Markt erwartet, kann der Aktienmarkt aufgrund der zu erwartenden höheren Kreditkosten und des langsameren Wirtschaftswachstums nachgeben. Umgekehrt kann eine stärker als erwartete Zinssenkung zu einem Kursanstieg führen. Die unmittelbare Reaktion der Aktienkurse auf solche Nachrichten spiegelt die Fähigkeit des Marktes wider, makroökonomische Informationen zu verdauen und zu verarbeiten.

Direkt nach einer Ankündigung verarbeitet der Markt die Mitteilung zu einem neuen Preisgleichgewicht
Direkt nach einer Ankündigung verarbeitet der Markt die Mitteilung zu einem neuen Preisgleichgewicht[Jens Herold Esteves - Finanzseite.net]

Mögliche Auswirkungen der EMH auf Dein Portfolio

Auswirkungen der Effizienzmarkthypothese
  1. Anlagestrategie: Effizient funktionierende Märkte können dazu führen, dass passive Anlagen, beispielsweise in kostengünstige ETFs, gegenüber dem aktiven Management überlegen sind. Dies liegt daran, dass es laut EMH schwierig ist, den Markt dauerhaft zu schlagen, da alle verfügbaren Informationen bereits in den aktuellen Preisen enthalten sind. Passive Anlagestrategien versuchen daher, die Performance des gesamten Marktes nachzubilden, was häufig zu geringeren Kosten und vergleichbaren Renditen führt.
  2. Regulierung und Transparenz: Die EMH unterstreicht die Bedeutung von Transparenz und rechtzeitiger Offenlegung von Informationen zur Gewährleistung der Markteffizienz. Eine effiziente Marktregulierung sorgt dafür, dass alle Marktteilnehmer gleichzeitig Zugang zu relevanten Informationen haben, was die Wahrscheinlichkeit verringert, dass einzelne Akteure einen ungerechtfertigten Vorteil erlangen.

Kritische Anmerkungen zur EMH

Die Effizienzmarkthypothese gilt als eine der besten theoretisch erforschten und empirisch bestätigten Phänomene der modernen Finanzökonomie. Eugene Fama erhielt im Jahr 2013 den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis der Wirtschaftswissenschaften, für seine bahnbrechenden Arbeiten in diesem Feld.

Dennoch gibt es, vor allem aus Sicht der Verhaltensökonomie ernstzunehmende und zutreffende Kritikpunkte, die EMH immer, und vollständig sowie auch für jeden individuellen Anleger als zutreffend zu betrachten.

  • Behavioral Finance: Kritiker der EMH argumentieren, dass die Theorie irrationale Verhaltensweisen und psychologische Verzerrungen ignoriert, die zu Fehlbewertungen führen können. Behavioral Finance, ein Forschungsgebiet, das diese Aspekte untersucht, zeigt, dass Anleger oft emotional und nicht immer rational handeln. Beispiele sind Überreaktionen auf Nachrichten oder Herdenverhalten, das zu Blasenbildung und Marktcrashs führen kann.

Gleichzeitig gibt es immer wieder Beispiele, wo die mit der EMH implizit unterstellte "Schwarmintelligenz" des Finanzmarktes komplett daneben lag und Ereignisse verpasst oder erst deutlich zu spät eingepreist haben, was in teils schweren Marktverwerfungen und Krisen gemündet ist.

  • Marktanomalien: Es gibt mehrere historische Ereignisse, die als Beweise dafür angeführt werden, dass die Marktpreise nicht immer alle verfügbaren Informationen korrekt widerspiegeln. Zwei prominente Beispiele sind der Börsenkrach von 1987 und die Dot-Com-Blase Ende der 1990er Jahre. Das fast jahrelange Ignorieren der systematischen Schieflage des US-Häusermarktes im Subprime-Segment ist ein weiteres Beispiel.

Problematisch wird es, wenn Anleger Konzepte wie die EMH oder im viel weiteren Sinne das Konzept rationaler Erwartungen mittels stammtischpsychologischen Argumenten als komplett unsinnig abtun, "weil das ja eh alles nicht stimme und aus dem akademischen Elfenbeinturm stamme".

Krisen und starke Korrekturen am Aktienmarkt entstehen nur dann, wenn Märkte bestimmte Entwicklungen komplett verschlafen haben. Für diese Entwicklung sind aber häufig Anleger selber verantwortlich, etwa durch Phänomene wie Gier oder irrationalem Überschwang.

In einer Vielzahl von Fällen, z.B. bei der Bewertung überraschend positiver oder negativer Bilanzkennzahlen reagiert der Finanzmarkt allerdings prompt, präzise und findet in relativ kurzer Zeit in ein neues Gleichgewicht.

Diesen Artikel teilen